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Reynke de Vos
 

Seit nunmehr knapp drei Jahren ist eine Sendung des ORF-Fernsehens über Ungarn Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen. Gegen die am 26. September 2012 ausgestrahlte Dokumentation „Nationale Träume – Ungarns Abschied von Europa“, aus dessen Titel bereits die Schlagseite der von Andrea Morgenthaler und Paul Lendvai gestalteten und zu verantwortenden Reportage durchschlägt, hatten nicht nur die ungarische Regierung, sondern auch zahlreiche Zuschauer aus Österreich, Ungarn und Deutschland Einspruch erhoben. Dr. Eva Maria Barki, eine Wiener Anwältin, die zu jenen gehört, die die Sendung als weithin faktenverdrehend und politisch völlig einseitig empfanden, hatte sich, an deren Spitze, auf den juristischen Verfahrensweg begeben.

Erwartungsgemäß reagierte ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz auf die erste Eingabe – eine auf § 36 Abs. 1 Z 1 lit b ORF-G gestützte „Popularbeschwerde“, verbunden mit einem an ihn und den ORF-Publikumsrat gerichteten „Offenen Brief“ – mit der Antwort, er sehe „das Ausgewogenheitsgebot nicht verletzt“ und fügte hinzu, der ORF agiere auch der ungarischen Regierung gegenüber „nach den Grundsätzen journalistischer Fairness, Glaubwürdigkeit und Professionalität”. Wer die ORF-Dokumentation gesehen hatte, musste sich angesichts des krassen Missverhältnisses zwischen neun interviewten Parteileuten beziehungsweise Sympathisanten des link(sliberal)en Spektrums auf der einen Seite und Außenminister János Martonyi, dem einzigen Regierungsvertreter, auf der anderen von Wrabetz’ Stellungnahme düpiert sehen.

Auch andere Verzerrungen wie beispielsweise das Interview mit einem ehemaligen Angehörigen des staatlichen Rundfunks im stalinistisch-sozialistischen „Statuenpark” – ein bewusster (und zudem plumper) Versuch, die Regierung Orbán wenigstens optisch-effektmäßig in die Nähe der Diktatur zur rücken – gehören also nach Wrabetz Worten zur Fairness, zur Glaubwürdigkeit und zur Professionalität des ORF.

Die Anwältin und ihre Unterstützer beließen es naturgemäß nicht dabei, sondern wandten sich sowohl an den Publikumsrat des ORF, als auch an die Kommunikationsbehörde Austria (KommAustria), die als nachgeordnete Dienststelle des Bundeskanzleramts fungiert und seit 1. Oktober 2010 als „weisungsfreie Kollegialbehörde“ (unter anderem) über den ORF die Rechtsaufsicht führt. Sie wies die Beschwerde am 11. November 2013 ab. Auch der Widerspruch dagegen vor der Berufungsinstanz – seinerzeit der Bundeskommunikationssenat (BKS) – wurde mit der Begründung abgewiesen, dass nach der Dokumentationssendung unter dem Titel „Ungarn: Demokratie Ade?“ eine Diskussion im „Club 2“ stattgefunden habe, sodass die beiden Sendungen als Einheit zu betrachten seien.

An dieser Diskussionssendung nahmen neben Lendvai und dem ihm weltanschaulich nahestehenden Schriftsteller Rudolf Ungváry sowie der linken Redakteurin beim regierungskritischen ungarischen „Klubrádió“ Julia Váradi der damalige ungarische Außenamtsunterstaatssekretär Gergely Pröhle, der ehemalige Repräsentant der Konrad-Adenauer-Stiftung in Budapest, Hans Kaiser, sowie der Leiter der Esterhazy‘schen Stiftungen in Eisenstadt, Stefan Ottrubay, teil. Die drei Letztgenannten dienten sozusagen als „Feigenblätter“, weshalb nach Ansicht von ORF, KommAustria und BKS durch „die zwei Sendungen in ihrer Gesamtheit der Forderung des Objektivitäts- und Unparteilichkeitsgebotes im Sinne des ORF-Gesetzes entsprochen wurde […]Im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin beanstandete Teilnehmerauswahl der Diskussionssendung gelangte die KommAustria zu dem Ergebnis, dass diese vom ORF nach sachlichen und objektiven Kriterien vorgenommen wurde und alle betroffenen Standpunkte und Interessen angemessen repräsentiert wurden.“

Weshalb sich der BKS – bei gesondertem Hinweis auf den Diskutanten Gergely Pröhle, der Gelegenheit gehabt habe, seine (quasi „regierungsamtliche“) Sichtweise darzulegen – der Auffassung der KommAustria anschloss und die Berufung gegen deren Bescheid als unbegründet abwies.

Da die Beschwerdeführerin namens der von ihr vertretenen 120 ORF-Zuschauer, die weiland Einspruch gegen die ORF-Dokumentation erhoben hatten, die Angelegenheit damit nicht auf sich beruhen ließ, brachte sie die Causa vor das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Dieser folgte dem BKS in der Hauptsache nicht, sondern bestätigte mit Beschluss vom 23. Februar 2015 (GZ: W194 2000572-1/10E) die Rechtsansicht der Beschwerdeführerin. Das BVwG hob die vorinstanzlichen Entscheidungen auf, in welchen das Begehr der Beschwerdeführerin als „unbegründet“ abgewiesen worden war und verwies „die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die KommAustria zurück.“

Dieser ist bisher nicht ergangen. Es erübrigt sich fast festzustellen, dass die beiden Beschwerdegegner – der ORF als Sendeanstalt und dessen Generalsdirektor Wrabetz – ebenso bei ihrer Auffassung bleiben wie die Beschwerdeführerin Eva Maria Barki. Dabei ist zu vermerken, dass sich ORF und Wrabetz in ihrer Stellungnahme zur BVwG-Entscheidung gegenüber der – nunmehr wieder verfahrenszuständigen KommAustria – zur Untermauerung der eigenen Position auf die Presseberichterstattung über Ungarn berufen. Namentlich beziehen sie sich auf (durchweg Orbán-kritische bis hasserfüllte) österreichische Organe – von den sogenannten „Qualitätsmedien“ bis zum Boulevard – und auf die nicht weniger mainstreamigen Blätter „Neue Zürcher Zeitung“ und „Süddeutsche Zeitung“ als vorgeblich „renommierte ausländische Stimmen“. (Im Zusammenhang damit sei auf den Schluss dieser Erörterung hingewiesen).

Längst schon hätte man in ähnlich gelagerten Fällen gegen den ORF Beschwerde führen müssen. So beispielsweise, als sich das ORF-Fernsehen naturgemäß unter tätiger Mithilfe Paul Lendvais auf Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel einschoss und die Sendung zu einem „Anti-Schüssel-Orbán-Tribunal“ ausartete. In der ZIB 2 vom 31. Mai 2012 wurde eine in Budapest gehaltene Laudatio Schüssels auf Orbán – selbstredend nur in kurzen, aus dem Zusammenhang gerissenen Fragmenten – zu einem Verriss des Politikers genutzt, dem es, wie es in der Nachrichtensendung hieß, „bekanntermaßen“ an „Trittsicherheit” mangele. „Ungarn-Fachmann“ Lendvai gab sich „enttäuscht” und „entsetzt” darüber, dass Schüssel „Orbán einen Persilschein ausstellt“. Dass Schüssel in Budapest auch kritische Punkte angesprochen hatte, verschwieg die ZiB.

Damit nicht genug. In der ZIB 24 durfte Bernhard Odehnal vom Schweizer „Tagesanzeiger“ noch ein Schäuflein nachlegen und in sichtlicher Erregung darüber philosophieren, dass Orbán den Staat der Zwischenkriegszeit restaurieren, mithin „eine Quasidiktatur mit ganz starkem Antisemitismus und Chauvinismus” etablieren wolle.

Wohl aus diesem Grunde haben Odehnal und Gregor Mayer (dpa-Korrespondent in Budapest), der deutsch(sprachig)e Zeitungen mit Ungarn-Berichten versorgt und sich im Internet allzu gerne als Antifaschist geriert und daher über „Orbánistan” verbreitet, zusammen ein (von Lendvai rühmend rezensiertes) Buch über rechte Umtriebe in Osteuropa verfasst. Und selbstverständlich durfte sich auch die Frontfrau österreichischer Ungarn-Kritik, die grüne EU-Abgeordnete Ulrike Lunaček über Schüssel empören. Man erfuhr noch, es gebe in Orbáns Ungarn „eine Belastungspolitik”, der „kleine Mann bekommt die Steuern aufgebrummt, während sich Orbáns Familie und einige Oligarchen bedienten“.

Die im EU-Vergleich mit am niedrigsten ausfallende Einkommensteuer war Odehnal, der nur die sehr hohe Mehrwersteuer erwähnte, keiner Erwähnung wert. Die Flat Tax als Ausdruck eines unter Orbán eingeleiteten Umbaus des Steuersystems – direkte Steuern senken, indirekte Steuern erhöhen – war in ihren Auswirkungen zu komplex für plakative Statements zwischen Horthy, Antisemitismus und Schüssel.

Recht hatte Odehnal allerdings hinsichtlich Selbstbedienung und Korruption, zwei Umstände, die unerträglich sind und bleiben, sofern sie nicht wirkungsvoll abgestellt werden. Nur: Das hätte ihm und dem ORF schon früher auffallen sollen – nämlich unter den sozialistisch-„liberalen“ Regierungen des Gyula Horn (1994-1998), des Péter Medgyessy (2002-2004), des Ferenc Gyurcsány (2004-2009) sowie des (formell parteifreien) Kurzeitpremiers Gordon Bajnai (14. April 2009 - 29. Mai 2010)

Was gegenüber dem ORF einzuwenden ist, trifft auch auf andere Anstalten und auf das Gros der Medien schlechthin zu.Besonders in Österreich und Deutschland hält das publizistische Trommelfeuer auf Orbán und seine Mitterechts-Regierung eine ganze Armada aus politisch korrekten „Lohnschreibern“ (Bertolt Brecht) am Leben. ORF, ARD und ZDF tun sich dabei besonders hervor, und bei den Printmedien sind nur wenige Berichterstatter und Redakteure davor gefeit, in den von „Ungarn-Experten“ wie Lendvai oder György Konrád dirigierten Mainstream-Chor einzustimmen.

Das begann mit der Verabschiedung der ungarischen Mediengesetzgebung, setzte sich fort bei der 2012 in Kraft getretenen neuen Verfassung sowie beim veränderten Wahlgesetz, nach dem am 6. April 2014 das auf 199 Abgeordnete verkleinerte Parlament neu gewählt wurde, wobei Orbán abermals eine Zweidrittelmehrheit der Sitze erhielt.

Mittlerweile hat seine Fidesz-Partei allerdings in Nachwahlen in zwei Wahlkreisen diese eingebüßt, was eigentlich Beweis genug dafür ist, dass die Demokratie in Ungarn – entgegen allen antifaschistischen Unkenrufen – nicht ausgehebelt worden ist. Dennoch ist die ungarische Regierung zum Prügelknaben politisch-korrekter Publizisten geworden, die in Orbán einen autoritären Volkstribun am Werk sehen, der mit der Bibel unter dem Arm herumläuft.

Erfrischend - und alle Befürchtungen und/oder Vorwürfe kritischer Beobachter der Medienszene gegen deren Macher bestätigend – dagegen die jüngst auf Ungarisch, Englisch und Deutsch veröffentlichte Studie zur Presseberichterstattung über Ungarn in den Jahren von 2010 bis 2014. Eine Arbeitsgruppe der „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“ unter Leitung des ob seiner nordischen Klarheit und Sachlichkeit bekannten Hamburger SPD-Politikers Klaus von Dohnanyi hat Presseberichte über Ungarn systematisch gesammelt und ausgewertet. Das Ziel war herauszufinden, ob die Kritik in der konkret geäußerten, zum Teil heftigen Form der Realität angemessen war. Die Berichte wurden Rechts- und Gesellschaftswissenschaftlern vorgelegt, um deren Erkenntnisse und Sichtweise dazu in Beziehung zu setzen.

Das Ergebnis kann alle um wirkliche Objektivität bemühten Landeskenner nicht verwundern: Zwar ist mancher kritische Einwand gegen Orbáns Ungarn gerechtfertigt, vieles aber verkürzt, einseitig, verzerrt, überzogen und – vor allem – schlecht (oder gar nicht) recherchiert dargestellt. Daher sei das in der Studie getroffene Fazit zur Gänze wiedergegeben und – aus gegebenem Anlass – besonders dem ORF zur Beherzigung empfohlen:

In zahlreichen Treffen und unter Einbeziehung ungarischer wie deutscher externer Experten hat die Arbeitsgruppe die Entwicklungen in Ungarn und den diesbezüglichen Diskurs in den deutschen wie internationalen Medien intensiv diskutiert. Dabei wurden auch unterschiedliche Sichtweisen und Bewertungen deutlich. Doch kommt die Arbeitsgruppe auf der Grundlage der Expertenbefragungen in der Gesamtsicht zu der Einschätzung, dass Ungarn auch heute ein freiheitlicher und demokratischer Rechtsstaat ist, in dem weder die Presse zensiert wird noch die Regierung Orbán den Antisemitismus fördert; gerade zu dessen Bekämpfung hat sie einige wichtige Schritte getan. Auch die institutionelle Unabhängigkeit der Gerichte ist gegeben. Allerdings verführt die starke parteipolitische Stellung Orbáns zu einer oft parteipolitisch geprägten Personalpolitik, die den jeweiligen Institutionen nicht gut tun kann und welche auch zu einer Verarmung der für jede Demokratie notwendigen Vielfalt führen könnte. Die zahlreichen Gespräche der Arbeitsgruppe haben deutlich gezeigt, dass einige der heute die Medien beherrschenden Vorwürfe gegen die Regierung Orbán zutreffen, viele aber übertrieben oder auch sachlich falsch sind. Kein Land, keine Regierung ist ohne Fehl. Dennoch kann kein Dialog der Völker in Europa fruchtbar sein, wenn dieser auf Vorurteilen und Vorverurteilungen gründet. Kritik sollte und muss geübt werden, sofern sie auf sachlichen und belegbaren Argumenten beruht. Doch muss dies für alle EU-Staaten gleichermaßen gelten, und die Kritik darf ohne schwerwiegende Gründe nicht als Verurteilung vorgebracht oder verstanden werden, sondern als Prozess der Weiterentwicklung europäischer Demokratie.”

Nicht allein den Ungarn-Berichterstattern, in unserem Zusammenhang aber vornehmlich diesen, empfiehlt die DGAP-Arbeitsgruppe darüber hinaus, mehr und – vor allem – gründlicher zu recherchieren.  Dem ist nichts hinzuzufügen.                                              

(Der Autor ist Historiker und Publizist)