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Werner Reichel (ORF1 Fr, 19.09.2014, 20:15)
Die große Chance

Conchita Wurst hat einen Gatten. Der nennt sich Jacques Patriaque und ist Boylesque-Darsteller. Oder besser Boylesque-Darsteller-Darsteller. Boylesque ist die schwule Variante der Burlesque, eine mehr oder weniger bunte und unterhaltsame Stripteaseshow, die Anfang des vergangenen Jahrhunderts populär war. So weit so gut. Als Wurstehemann dürfte Jacques eine Wildcard für die ORF-Talentshow bekommen haben, denn besonders viel Talent war gestern nicht zu erkennen. Die Darbietung des etwas bummeligen Tänzers war, nun ja, mäßig unterhaltsam. Aber so ein Urteil ist bekanntlich immer  subjektiv, wiewohl „familiäre“ Beziehungen im ORF vermutlich nicht schaden dürften.

Vor allem Jury-Mitglied Peter Rapp verfolgte den zwar bemühten, aber etwas ungelenken Tanz sichtlich entgeistert. Nun ist  Boylesque immer und ganz bewusst ironisch, überzeichnet und grell, hat diese So-schlecht-dass-es-schon-wieder-gut-ist-Attitüde.

Aber selbst aus dieser Perspektive war Patriaque bloß langweilig. Nur die beiden Jury-Damen waren hingerissen. Bei der ersten positiven Abstimmung bekam man den Eindruck, dass die Jury dazu vergattert worden ist. Oliver Pocher tat sich sichtlich schwer, sein Ja zu begründen. Rapp war nicht einmal bereit, selbst den Plus-Knopf zu drücken und überließ es seiner Sitznachbarin. Jurorin Larissa Marolt brachte den „tieferen“ Sinn und Zweck der mediokren Darbietung schließlich für den ORF auf den Punkt: „ Es ist toll, dass man sieht wie bunt und vielseitig Österreich ist“. Amen.

Am Ende reichte es für Jacques Patriaque dennoch nicht. Weitergekommen ist hingegen eine sympathische junge Kärntner Bäuerin. Sie hat wirklich Talent und begeisterte das Publikum  mit ihrer Stimme und Natürlichkeit. Selbst der ORF muss, trotz seines sich selbst zugedachten bunten  Missionierungsauftrags,  ab und zu Rücksicht auf sein Publikum nehmen.