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Werner Reichel
 

Die linke Wochenzeitung "Falter" hat das Gerücht in Umlauf gebracht: Die Regierung will FM4 abdrehen. Große Aufregung im heimischen Blätterwald. Überall war zu lesen, dass dem ORF-Jugendsender nun das Aus drohe. Wobei der Begriff „Jugendsender“ irreführend ist. Junge Hörer hat FM4 kaum noch. Der linksalternative Sender ist ebenso wie seine Hörer in die Jahre gekommen.

Linke Berufsjugendliche machen für ebensolche Programm. Die Reichweite des Senders ist entsprechend mau. Egal, bezahlen dürfen ohnehin jene, die man auf FM4 so gerne und oft durch den Kakao zieht: die österreichischen "Durchschnittsbürger". Wie auch immer. ÖVP und FPÖ dementierten die Schließungspläne. Das sei derzeit kein Thema, hieß es.

Schade. FM4 zu schließen und die dadurch freiwerdenden UKW-Frequenzen als private Radiozulassungen auszuschreiben, wäre ein Akt der Gerechtigkeit. Eine Wiedergutmachung für die von ORF und SPÖ über Jahre und Jahrzehnte verhinderte und gegängelte Privatrundfunkbranche.

Wer ernsthaft über einer Schließung von FM4 diskutieren will, der muss auch die Entstehungsgeschichte dieses Senders kennen. FM4 existiert nur deshalb, weil der staatliche Rundfunkmonopolist in den 1980er und 90er Jahren österreichweit UKW-Frequenzen gekapert hat, damit für die künftige private Konkurrenz möglichst wenige übrigbleiben. FM4 existiert im Grunde nur, weil der ORF seiner privaten Konkurrenz schaden wollte.

Am 23. August 1979 übergibt Bundeskanzler Bruno Kreisky feierlich die Wiener UNO-City per Handschlag an UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim. Um das neu gewonnene internationale Flair zu steigern, fragt Vizekanzler Hannes Androsch beim damaligen ORF-Chef Gerd Bacher an, ob der ORF nicht für die vielen internationalen UN-Beamten ein mehrsprachiges Radioprogramm produzieren könne. Die Kosten dafür übernimmt die Regierung aus Budgetmitteln. Der ORF musss seine Gebührengelder also nicht angreifen.

Dieses äußerst verlockende Angebot lässt sich Bacher nicht entgehen. Am 23. September geht der UNO-Sender Blue Danube Radio on Air. Das mehrsprachige Radio, das auf der Frequenz 102,2 MHz sendet, ist als Service für die tausenden internationalen UN-Beamten gedacht. Blue Danube Radio ist deshalb auch nur in Wien zu empfangen.

Die Bundesregierung verliert schließlich das Interesse und stellt die Zahlungen 1987 ein. Doch das bedeutet nicht das Ende von Blue Danube Radio. Im Gegenteil. Der ORF betreibt den Sender aus strategischen Gründen und aus „eigener" Tasche, also mit Gebührengeldern, weiter.

Die Strategie des damaligen Rundfunkmonopolisten ist klar: UKW-Frequenzen stehen nur begrenzt zur Verfügung, sie sind ein knappes Gut. Je mehr freie Frequenzen sich der ORF vor der unvermeidlichen Rundfunkliberalisierung unter den Nagel reißt, desto weniger bleiben für die künftigen Privatsender übrig. Weil man im ORF Mitte der 1980er Jahre bereits weiß, dass sich das Monopol auf Dauer nicht aufrechterhalten lässt, muss man den Markteintritt der Mitbewerber möglichst lange hinauszögern, die Zahl der Konkurrenten möglichst kleinhalten und deren Möglichkeiten stark einschränken. Je weniger freie Frequenzen, desto weniger Privatsender, so die einfache ORF-Gleichung.

Das wussten auch die Zeitungverleger, die in das Privatradiogeschäft einsteigen wollten. Der damalige Präsident des Verbandes österreichischer Zeitungen (VÖZ) Franz Ivan: „Wenn sich der Baum ORF ausbreitet, bleibt kein Platz mehr für das Pflänzchen Privatradio.“ Mitte der 1980er Jahre ist aber noch relativ viel Platz im heimischen UKW-Spektrum für künftige Privatradios. 1984 wird in der Schweiz das Genfer Abkommen und der dazugehörige Frequenzplan GE84 beschlossen. Das völkerrechtlich verbindliche Vertragswerk regelt die Frequenznutzung in Europa. Der „Genfer Plan 84“ tritt drei Jahre später in Kraft. Österreich stehen fünf volltaugliche bundesweite Senderketten zur Verfügung.

Drei davon sind mit Ö1, Ö3 und den Ö2-Regionalradios bereits in den Händen des ORF. Für die künftigen Privaten bleiben damit gerade einmal zwei Frequenzketten übrig. Und damit das auch so bleibt, schließen die Zeitungsverleger 1987 ein Abkommen mit ORF-Generalintendant Teddy Podgorski. Darin wird festgehalten: „Der ORF wird seine Programme nicht erweitern und verzichtet damit auch auf das schon sehr konkret geplant gewesene Radioprogramm Ö4“.

Papier ist bekanntlich geduldig. Der ORF baut still und heimlich die Reichweiten des ursprünglich nur für Wien gedachten Senders Blue Danube Radio Schritt für Schritt aus. „Da der englischsprachige Sender in erster Linie von der International Community in Wien gehört wird, erscheint die österreichweite Ausstrahlung als Humbug.“, schrieb damals die Wirtschaftswoche. Aber um die Hörer ging es dabei, wie so oft beim ORF, auch nicht.

Dass es für die österreichweite Ausstrahlung von Blue Danube Radio weder einen politischen Auftrag noch eine gesetzliche Grundlage gibt, kümmert weder den ORF noch die Regierung. Lediglich die Zeitungsherausgeber werden unruhig. ORF-Generalintendant Teddy Podgorski beruhigt die verunsicherten Privatradiobetreiber in spe: „Die Ausweitung des BDR-Sendegebiets geschehe nur, um die neu anzuschaffenden Anlagen für die künftigen ‚Radio Print‘-Projekte zwischenzeitlich zu nützen. So könne man dem ORF-Kuratorium den Ankauf neuer Sendeanlagen für ‚Radio Print‘ etwas schmackhafter machen.“

Wenig später wird Podgorski von Gerd Bacher an der Spitze des ORF abgelöst. Bacher fühlt sich an die Zusagen seines Vorgängers nicht mehr gebunden. Von einer Rückgabe der Blue-Danube-Frequenzen will Bacher plötzlich nichts mehr wissen. Die Zeitungsverleger werfen ihm daraufhin vor, er verletze ein Gentlemen’s Agreement. Bacher soll darauf schulterzuckend geantwortet haben: „Dann bin ich halt kein Gentleman.“

Die verzweifelten Zeitungsverleger wenden sich an den zuständigen SPÖ-Verkehrsminister Rudolf Streicher. Sie bezweifeln, dass bei einer künftigen Radioliberalisierung ORF und Private bei der Frequenzvergabe gleichberechtigt behandelt werden. Zudem fordert der VÖZ, „daß die nach seiner Ansicht überhöhten Sendeleistungen des ORF – die zu einer prohibitiven Besetzung von Frequenzen führt – beschränkt werden.“

Solche Einwände stören aber weder den ORF noch den Verkehrsminister. 1992 ist Blue Danube Radio bereits auf 32 Frequenzen in ganz Österreich zu hören. Trotz der Hilferufe der Zeitungmacher macht die Regierung unter Franz Vranitzky keinerlei Anstalten, das eigenmächtige Vorgehen des ORF zu verhindern bzw. rückgängig zu machen.

Es ist wie schon so oft in den Jahren zuvor: ORF und SPÖ versuchen die Rundfunkliberalisierung zu behindern, zu verzögern, zu hintertreiben, die ÖVP, in Sachen Medienpolitik stets etwas unbeholfen, erkennt die Strategie der Sozialisten nicht bzw. zu spät. Der Plan des ORF geht jedenfalls auf, mit Blue Danube Radio, das später in den alternativen Jugendsender FM4 umgewandelt wird, kann der Staatsfunk rund die Hälfte der noch freien überregionalen Frequenzen den künftigen Privatsendern entziehen und das ohne jede gesetzliche Grundlage.

Frequenzen sind ein öffentliches Gut, über das der Gesetzgeber zu bestimmen hat. Doch der schaut demonstrativ weg. Vor den Augen einer in diesen Belangen weitgehend desinteressierten Bevölkerung und im Verbund mit der SPÖ kapert der ORF dutzende Frequenzen, um so die Zahl seiner künftigen Konkurrenten auf ein Minimum zu reduzieren. Erst viele Jahre später, 1997, werden die gesetzlichen Grundlagen für die Inbesitznahme der vierten Frequenzkette durch den ORF nachgereicht. Obwohl er bereits drei Frequenzketten bespielt, hat der ORF sich auf fragwürdige Weise die vierte von lediglich fünf freien Ketten angeeignet.

Für die Privatsender, die erst ab 1995 bzw. 1998 senden durften, blieb nur noch ein kläglicher Frequenzrest übrig. Dieses Ungleichgewicht zwischen ORF und Privatradio besteht bis heute. Es wäre deshalb ein Akt der Gerechtigkeit, der Wiedergutmachung und im Sinne eines dualen Rundfunksystems, das diesen Namen verdient, wenn FM4 eingestellt wird und die Frequenzen für private Betreiber neu ausgeschrieben werden.

Teile dieses Textes stammen aus:
Werner Reichel
DIE ROTEN MEINUNGSMACHER – SPÖ-RUNDFUNKPOLITIK VON 1945 BIS HEUTE
Deutscher Wissenschaftsverlag, 2012