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Werner Reichel
 

Wozu in die Ferne schweifen, wenn das Abenteuer vor der Wohnungstüre beginnt. Mussten die Ethnographen früherer Jahrhunderte noch lange, beschwerliche und gefährliche Reisen in die entlegensten Gegenden unseres Erdballs unternehmen, um fremde, exotische und „primitive“ Lebensweisen und Kulturen zu erforschen, reicht heute eine U-Bahnfahrt in die Wiener Bezirke außerhalb des Gürtels.

Denn dort trifft man sie noch, die Mitglieder eines besonders einfachen und archaischen Stammes. Es ist der Stamm des typischen FPÖ-Wählers. Christa Zöchling, mehrfach ausgezeichnete Profil-Journalistin, hat diese Spezies, Zöchling spricht lieber von „Menschenschlag“, nach ihren Feldforschungen in Favoriten als „die hässlichsten Menschen Wiens“ mit „stumpfen Haaren“, „Pickelhaut“, „unförmigen Leibern“ und „schlechten Zähnen“ beschrieben. Ihre traditionelle Kleidung besteht laut Auskunft Zöchlings aus „spannenden Trainingshosen“, „ausgeleierten Schuhen“ und „Glitzer-T-Shirts“.

Für einen linken Kulturmenschen wahrlich kein schöner Anblick, keine angenehme Begegnung, noch dazu fern des 7. Bezirks. Trotzdem hat eine österreichische Filmemacherin im 10. und 16. Wiener Gemeindebezirk solche Menschen gesucht und gefunden. Sie hat daraus eine Dokumentation mit Namen „Inland“ gemacht. Damit die Kinobesucher innerhalb des Gürtels diese seltsamen Menschen bestaunen können. Im Ö1-Morgenjournal wird der neue Film ausführlich vorgestellt.

Das Gefühl, von der „Politik vergessen, alleingelassen oder übergangen“ worden zu sein, „eint diese Menschen“ aus dem „rechten Wählerspektrum“. Dämliche Versager und Modernisierungsverlierer also. Das sagt man zwar nicht, meint es aber.

Sowohl die Filmemacherin als auch der Ö1-Beitragsgestalter versuchen ihre Überlegenheitsgefühle mit solchen Floskeln und Weasel Words zu tarnen. Der gleichgesinnte Ö1-Hörer weiß ohnehin, wie es gemeint ist. Die Filmemacherin betont, diesen Menschen auf Augenhöhe begegnet zu sein.

Naja, Augenhöhe. Für Linke gibt es nur zwei Möglichkeiten, sich mit sogenannten Rechten auseinanderzusetzen: Entweder man verteufelt sie als gefährliche Hasser und Hetzer, die es zu bekämpfen gilt, oder man wählt den paternalistischen Zugang, stellt sie als einfache (frühere Ethnographen bzw. Ethnologen nannten es primitive) Gemüter dar, als Opfer der rezenten Machtverhältnisse, als unmündige Kinder, die nicht in der Lage sind, die Welt in ihrer Komplexität zu begreifen. Deshalb sagt die Filmemacherin, dass es ihr schwergefallen sei, den Menschen nicht ständig ins Wort zu fallen und „in der Sekunde dagegen zu argumentieren“.

Also diese Menschen zu belehren, umzuerziehen, ihnen zu sagen, was falsch und richtig ist, dass sie mit „den Ausländern“ das falsche Feindbild hätten, das richtige seien Kapitalisten, Konzerne und all die anderen neoliberalen Ausbeuter. Diese einfache Menschen sind eben nicht so gebildet, deshalb beschränke sich deren Auseinandersetzung mit der Politik oft nur auf „Überschriften“, erzählt die Filmemacherin. Soviel zur Augenhöhe. Wie sagte Franz Josef Hödlmoser: Wer viel liest, ist viel gebildet.

Jedenfalls sei der Film eine Einladung zum Dialog, betont Ö1. Und nur wenige Minuten später läuft auf dem Sender ein Programmhinweis für die abendliche Sendung „doublecheck“. In dem Medienmagazin geht es heute um die Frage: „Wie redet man mit Rechtsextremen?“ Jedenfalls nicht in Talk-Shows. Denn darum geht es unter anderem in „doublecheck“, um „Identitäre in Talk-Shows“.

Das wäre dann nämlich wirklich auf Augenhöhe, wo man Sachargumente austauschen müsste. Da könnte das intellektuelle und moralische Überlegenheitsgefühl, das wackelige linke Weltbild schneller implodieren als einem lieb ist. Deshalb versucht der gemeine Linke Diskussionen mit Andersdenkenden auf sachlicher Ebene zu meiden, wie der Teufel das Weihwasser.

Es ist viel bequemer und vor allem ungefährlicher, sich einen besonders einfachen Gegner auszusuchen, nämlich das heimische Prekariat, und dieses in Filmdokus wie „Inland“ unter dem Vorwand des „Dialogs“ vorzuführen.