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Werner Reichel
 

Das lineare Fernsehen erleidet gerade jenes Schicksal, das seinerzeit die Segelschiffe – oder viele andere zum Anachronismus gewordene Technologien – ereilt hat. Das Segelschiff wurde auch nicht von heute auf morgen von den Dampfern gekillt. Beide Technologien existierten über einen relativen langen Zeitraum nebeneinander. Im Laufe der Jahre verdrängten die Dampfer aber mehr und mehr die Segler, bis sie nur noch in Nischenbereichen weiter existierten. So wie Pferdekutschen, Compact Discs oder die analoge Fotografie.

Auch das Fernsehen wird gerade von Netflix, YouTube und anderen On-Demand-Anbietern in solche Nischenbereiche abgedrängt. Die wichtigste Nischen, wo TV noch überleben kann, sind die Übertragungen von Live-Events (Formel1, Fußball, Tennis etc.) und die Senioren, die ihre TV-Gewohnheiten nicht mehr ändern wollen. Der Sportbereich wird allerdings zunehmend vom Pay-TV beherrscht. Servus TV bildet da eine Ausnahme.

Das alles ist keine neue Erkenntnis, zumal diese Entwicklungen schon weit fortgeschritten sind. So liegt das Durchschnittsalter der Zuseher der wichtigsten TV-Nachrichtensendung Österreichs, der ZiB1, deutlich über 60 Jahren.

Wie dramatisch die Situation für kommerzielle TV-Sender in den vergangenen Jahren geworden ist, zeigt nun ein Schritt – oder besser eine Fluchtbewegung – des größten deutschen Privatsenders, von RTL. Der Branchendienst DWDL berichtet unter dem Titel: „Schluss mit dem Jugendwahn: RTL will ARD und ZDF angreifen“ über einen Strategiewechsel von RTL. Er wurde mit einem großen PR-Knall eingeleitet: Mit dem überraschenden Rauswurf von Dieter Bohlen. Damit wollte das RTL-Management offenbar ein großes Ausrufezeichen setzen.

Bohlen steht, obwohl selbst nicht mehr ganz frisch, für das schrille, junge, prollige RTL. Er hat die Senioren, die mit dem betulichen öffentlich-rechtlichen TV groß geworden sind, abgeschreckt. Jetzt kommt der Generationenwechsel. RTL setzt auf nostalgische Fernsehgrößen wie Thomas Gottschalk oder Hape Kerkeling.

Damit verlässt RTL die einstmals saftig grüne Wiese der werberelevanten 14-49-jährigen Zuseher, die nun von den wesentlich erfolgreicheren On-Demand-Diensten abgegrast wird, und zieht weiter in die eher steppenartige 50-Plus-Werbelandschaft. Die ist für einen großen TV-Sender wie RTL offenbar lohnender geworden, weil sich die Konkurrenz im Wesentlichen auf die öffentlich-rechtlichen Sender beschränkt

Bei den älteren Herrschaften haben sich Netflix und Amazon-Prime noch nicht flächendeckend durchgesetzt. Das ist keine Vorwärtsstrategie, sondern ein Rückzugsgefecht. Andere TV-Sender werden RTL in die ariden Randbereiche des Werbemarktes folgen, bis auch dieses Segment nicht mehr genügend abwirft, um den Betrieb eines Fernsehsenders zu finanzieren.

Es ist das Ende einer Ära. Die öffentlich-rechtlichen TV-Sender können diesen Strukturwandel dank staatlich garantierter Zwangsfinanzierung noch länger überleben. Allerdings wird sich irgendwann auch für die (linke) Politik die Frage stellen, ob die öffentlich-rechtliche TV-Bespaßung und politische Indoktrination von 70+ Senioren in irgendeinem Verhältnis zu den milliardenschweren Kosten dieser Anstalten stehen. Dann heißt es auch für ARD, ZDF und ORF ein letztes Mal: Ahoi!