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Andreas Unterberger
 

Schmerzhaft. Mit diesem Wort sind die Auftritte der beiden Spitzenreiter der Meinungsumfragen zum Präsidentenwahlkampf bei der seltsamen ORF-Diskussionsrunde mit den Präsidentschaftskandidaten am besten beschrieben. Diese Runde war nicht nur wegen des Kneifens von Alexander van der Bellen keine Diskussion. Die ORF-Zuseher erlebten vielmehr die Selbstinszenierung zweier ORF-Redakteure, welche die Kandidaten nacheinander mit skurrilen Fragen verhörten und mit der Ausnahme des amtierenden Präsidenten immer wieder unterbrachen. Noch schlimmer aber war, dass sich die beiden Interviewer sowohl verfassungsrechtlich wie auch historisch eine Blöße nach der anderen gegeben haben. Diese  Blößen sind insbesondere von den drei Juristen unter den Kandidaten genüßlich zerlegt worden. Aber das Schlimmste waren jeweils ein ungeheuerlicher Satz von Alexander Van der Bellen beziehungsweise Walter Rosenkranz.

Van der Bellen war seine einstige Äußerung vorgehalten worden, dass er bald allen(!) Frauen raten werde, ein Kopftuch zu tragen, wenn das mit der Kritik am islamischen Kopftuch so weiterginge. Er entschuldigte das jetzt damit, dass damals im Zuschauerraum halt viele Frauen mit Kopftuch gewesen wären. Das macht sprachlos. Der Bundespräsident gibt damit praktisch unverhüllt zu, dass er je nach Publikum eine andere Meinung hat.

Man fasst es nicht, was für einen Charakter das amtierende Staatsoberhaupt hat.

Hingegen hat Van der Bellen die beiden ORF-Interviewer recht klug abgefertigt, als sie ihn allen Ernstes kritisierten, weil er auf die Ibiza-Äußerungen von H.C. Strache viel schärfer reagiert hatte als auf die Chats von ÖVP-Politikern, die die Korruptionsstaatsanwaltschaft nach außen gespielt hatte. Wolf & Co haben ständig in ihrem Hass auf die ÖVP versucht, das gleichzusetzen. Als ob ein Schimpfwort über einen Parteifreund in einem (vermeintlichen) Privatgespräch gleichwertig wäre mit dem minutenlangen lauten Nachdenken Straches, wie man Korruption und Bestechlichkeit am besten organisieren würde.

Genauso schlimm wie das indirekte Eingeständnis Van der Bellens, sich wie ein politisches Chamäleon zu verhalten, war die erschreckende Unwissenheit des freiheitlichen Kandidaten Rosenkranz in grundlegenden außenpolitischen Fragen. Er behauptete nämlich wörtlich, dass Russland (und die drei Westmächte) Österreichs Neutralität "garantieren" würden. Sollte ein Student bei einer Völkerrechtsprüfung diesen Unsinn behaupten, würde er sofort hinausfliegen.

Herr Dr. Rosenkranz, zur Weiterbildung: Absolut niemand hat uns die Neutralität garantiert! Zum Glück. Es war 1955 – wie auch davor und danach – sogar die zentrale Linie der österreichischen Regierung, jede Garantie abzulehnen. Denn diese hätte die riesige Gefahr bedeutet, dass eine der vier Mächte – natürlich hat man diese Sorge immer primär einer gegenüber gehabt – ihre Garantenstellung als Vorwand für eine Einmischung in Österreich oder für seine Bevormundung verwenden könnte. Jederzeit hätte irgendein Politikinhalt als Verletzung der Neutralität erklärt werden können. Österreich hat deshalb damals rechtlich auch ausdrücklich betont, "aus freien Stücken" die Neutralität zu erklären. Diese absolute Freiwilligkeit ist auch in den folgenden Jahrzehnten immer Eckstein der österreichischen Politik gewesen. Und ausgerechnet in Zeiten wie diesen will jemand Bundespräsident werden, der plötzlich Moskau eine solche Garantenstellung einräumt.

Man fasst es nicht, wie ahnungslos der Mann ist.

Auch wenn sein Jusstudium schon lange her ist – wie auch immer er damals das Völkerrecht bestanden hat –, so ist doch klar, dass Rosenkranz sich spätestens in der Vorbereitung auf seine Kandidatur in die rechtlichen Grundlagen der österreichischen Außenpolitik einlesen hätte können. Und müssen.

Beide Mega-Patzer sind aber den ORF-Moderatoren gar nicht aufgefallen. Und den beiden grenzwertigen Politologinnen, die dann jeweils ihren Senf zu jedem Interview zu geben versucht haben, schon gar nicht. Zugegeben: Politologen haben nur wenig Ahnung von Verfassung und Völkerrecht. Aber man hätte sie ja auch nicht einladen müssen.

Rätselhaft bleibt auch, warum schon wieder ein Armin Wolf auf die Kandidaten losgelassen worden ist. Hat er diese doch erst wenige Tage davor in der ZiB2 interviewt. Wahrscheinlich sind ihm deshalb keine klügeren Fragen mehr eingefallen, als sich bei jedem einzelnen zu erkundigen, wen er denn im zweiten Wahlgang wählen würde.

Während die anderen Kandidaten in ORF-Art ständig unterbrochen wurden, durfte Van der Bellen natürlich immer genüsslich ausplaudern. Während die anderen mit "Herr" angeredet wurden (auch wenn sie einen akademischen Titel haben), war dieser für Wolf "Herr Doktor Van der Bellen".

Besonders peinlich war es, als die Interviewer auch die drei kandidierenden Rechtsanwälte ständig verfassungsrechtlich zu kritisieren versucht haben. Das hat allen dreien, also Rosenkranz, Wallentin und Brunner, die Möglichkeit zum Brillieren gegeben. In der Verfassung kennen sie sich jedenfalls besser aus als die ORF-Menschen. Gegenüber Gerald Grosz haben sie nicht einmal Straf- und Zivilrecht auseinanderhalten können.

Rund um die Verfassung  ging es insbesondere um die Fragen, ob ein Bundespräsident vorzeitige Wahlen ansetzen, ob er eine Regierung entlassen, ob er konkrete politische Inhalte wünschen und ob er einzelne Minister ablehnen kann. All diese von den Herausforderern ins Spiel gebrachten Möglichkeiten haben die ORF-Moderatoren und "Experten" empört bekämpft. Sie haben das aber nicht mit der zweifellos diskutablen politischen Sinnhaftigkeit solcher Schritte getan, sondern mit juristischen Argumenten, dass das gar nicht ginge. Das ist ein Unsinn. Nur weil etwas jahrelang nicht geschehen ist, ist es rechtlich noch immer durchaus möglich.

Bei diesem Thema haben die ORF-Menschen aber nicht nur ihre rechtliche, sondern auch ihre zeitgeschichtliche Ahnungslosigkeit bewiesen. Denn all das, was sie als unmöglich dargestellt haben, hat im Jahr 2000 der damalige Bundespräsident Klestil schon penibel eingeleitet und zum Teil auch umgesetzt gehabt. Er hat zwei Minister abgelehnt. Und er hat mit einem anderen Spitzendiplomaten aus seinem ehemaligen Außenministerium schon genau abgesprochen gehabt, dass er diesen freihändig zum Bundeskanzler bestellen werde. Mit dem einzigen Zweck, dass ihm dieser umgehend die Ausrufung von Neuwahlen vorschlägt, bevor noch das Parlament die neu bestellte Regierung mit einem Misstrauensvotum stürzen kann (mit diesem Trick wollte Klestil damals noch die schwarz-blaue Koalition verhindern).

Das alles war im Februar 2000 schon fix in die Wege geleitet gewesen. Aber dann haben die beiden Diplomaten im letzten Augenblick vor einer solchen Aktion Angst bekommen. Für diese Angst war nachweislich ein Kommentar in der damaligen "Presse" ausschlaggebend, in dem Klestil vorgeworfen worden war, sich wie der damalige kroatische Machthaber Tudjman aufzuführen (Tudjman hatte sich geweigert, den Wahlsieger der Zagreber Bürgermeisterwahl anzugeloben). Verfassungsrechtlich wäre es aber eindeutig gegangen.

Man wusste nach dieser "Diskussion" wirklich nicht, was katastrophaler für die Republik ist. Ein Zwangsgebühren-Rundfunk mit solchen ahnungslosen Moderatoren und Experten oder ein Bundespräsident, wo die beiden Spitzenreiter des Wahlkampfes für dieses Amt sich so ungeheuerliche Blößen geben.

Diese hat es bei den anderen Kandidaten nicht in diesem Ausmaß gegeben. Bis auf Wlazny wirkten sie alle recht gut vorbereitet und waren schlagfertig und selbstsicher. Besonders erstaunt hat der staatsmännisch gewendete Gerald Grosz, der politische Profi hat geschickt, wenn auch etwas plötzlich den Rabauken abgelegt.