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Der ORF als Sprachversuchslabor

Andere, Mo, 08.10.2018, 16:54 | Der Besserwisser

Dramatisch sinkende Quoten auf der einen Seite, tiefgreifende Verunsicherung angesichts der spärlichen Angriffsflächen der Mitte-Rechts-Regierung auf der anderen Seite: Die Unruhe, die den ORF erfasst hat, zeigt sich nicht nur in einer alles andere als souverän wirkenden Programmierung und in hektischen Personalrochaden, sondern neuerdings auch in absurden Sprachversuchen. 

Im Sommer fiel der ORF positiv auf, weil er den Begriff "Flüchtlinge" konsequent durch "Migranten" ersetzte. Da es sich dabei leider nur um ein Lucidum intervallum handelte, kann ein tiefgreifender Erkenntnisprozess ausgeschlossen werden: Die Redakteure werden also weiter beharrlich ignorieren dürfen, dass der Großteil der Menschen, die ins Land strömen, herzlich wenig mit der Genfer Flüchtlingskonvention zu tun haben. Vermutlich geht der sommerliche Lichtblick nur auf eine beherzte Sommervertretung zurück - die man dann wohl schnell wieder verräumt hat. 

Mit September kam dann der Gegenschlag, der verunsicherten ORF-Fans signalisieren sollte, dass der Staatsfernseher weiterhin ideologisch absolut verlässlich ist: Seit einigen Wochen wird im ORF - als einzigem Massenmedium das Landes - heftig gegendert. Für ein wenig Verunsicherung sorgt beim geneigten Leser nur die Tatsache, dass das Gendern nicht flächendeckend erfolgt. Krampfhaft analysiert dieser nun jeden Text, ob sich hinter den ausnahmsweise nicht gegenderten Begriffen eine geheime Botschaft versteckt? Aber vermutlich sollte sich der werte Leser einfach darüber freuen, dass er beim Gendern nicht auch noch mit Stern*chen und Unter_strichen behelligt wird. 

Dass Gendern für das Textverständnis nicht gerade förderlich ist, dürfte jetzt auch im ORF aufgefallen sein - doch anstatt die sprachlich widersinnige Umerziehungsmaßnahme einfach ersatzlos einzustellen, packte er in einem Bericht über die strauchelnde italienische Fluglinie seine Grammatikkünste aus: "Die Regierung hat Alitalia unter Sonderverwaltung gestellt, nachdem die Arbeitnehmenden im vorigen Jahr einen Rettungsplan abgelehnt hatten."

Der geniale Redakteur hat sich wohl gedacht: Wenn der Kunstgriff seit Jahren bei den Studenten, äh Studierenden, durchgeht, warum sollte nicht auch hier das Präsenspartizip politisch korrekte Schützenhilfe leisten? Blöd nur, dass es an dieser Stelle gleich doppelt schwachsinnig ist. So wie Studierende gelegentlich in der Bibliothek über ihren Büchern einnicken und prompt wieder zu einfachen Studenten werden, wie Mordende zwischendurch neue Tatpläne aushecken müssen und damit zu Mördern verkommen, wie Singende bei der Premierenfeier auch sprechen dürfen und dann doch nur mehr Sänger sind, so werden Arbeitnehmende spätestens beim Ausstechen wieder zu einfachen Arbeitnehmern. 

Vielleicht sind sie aber in Wahrheit auch nie Arbeitnehmende gewesen - denn gerüchteweise leitet sich ein Präsenspartizip immer von einem Verb ab. Aber veilleicht kennt man am Küniglberg ja einen Duden, in dem sich das Wort "arbeitnehmen" findet - bekanntlich lebt man dort in einer Parallelwelt. Vielleicht lässt sich dann ja auch gleich klären, wem denn hier eigentlich die Arbeit weggenommen wird …