Wer in einer geschützten Werkstatt arbeitet, der läuft Gefahr, den Bezug zur Realität zu verlieren. Das gilt etwa für unsere Unis, Kammern, staatsnahe Einrichtungen und natürlich für den ORF. Wenn Vertreter zweier solcher Institutionen aufeinandertreffen, dann kann es ganz schnell absurd werden. So geschehen am Nachmittag auf Ö1. Redakteur Rainer Rosenberg plaudert mit Stephan Schulmeister, früher beim rotstichigen Wirtschafsforschungsinstitut beschäftigt, eine halbe Stunde lang zum Thema „Geheimverhandlungen um freien Handel“. Die beiden Experten veranstalten ein regelrechtes Tribunal. Auf der Anklagebank: der Neoliberalismus – oder was die beiden dafür halten. Diese Ideologie des Bösen habe sich in den vergangenen Jahren überall durchgesetzt, die Politik habe sich selbst entmündigt, erfährt der gebührenpflichtige Hörer.
Rainer Rosenberg träumt gar vom Aufstand der von den neoliberalen und profitgierigen Unholden geknechteten und ausgebeuteten europäischen Bevölkerung. Soweit will Schulmeister nicht gehen, allerdings prophezeit er den unausweichlichen Niedergang der freien und „ungeregelten“ Märkte.
Gut, dass es Ö1 gibt, sonst hätte ich nicht gewusst, dass ich in einem neoliberalen Land lebe. Darauf muss man erst einmal kommen. Österreich ist schließlich ein Hochsteuerland, das von 1970 bis heute fast ausschließlich von sozialistischen Kanzlern regiert wird.
Naja, außerdem erfährt der geneigte Hörer von Herrn Schulmeister, dass Geld ohnehin im Überfluss da sei. Der Staat müsse es nur ausgeben und seine Sparpolitik (welche Sparpolitik?) endlich beenden. Und dann kaut Herr Schulmeister alle abgelutschten keynesianischen Binsenweisheiten von A bis Z durch: Vollbeschäftigung löst alle Probleme, der Staat muss Arbeitsplätze schaffen, Staatschulden sind kein Problem usw.
Außerdem müsse man mehr in den Umweltschutz investieren, das schafft nämlich ganz viele neue und sichere Arbeitsplätz. Herr Schulmeister und ich leben tastsächlich in verschiedenen Universen. In Deutschland entpuppt sich die Energiewende als Milliardengrab, immer mehr Greenjobs gehen verloren, Subventionen verpuffen, etc.
Egal, im Ö1-Universum ist die politisch-korrekte Welt noch in Ordnung und einfach strukturiert. Da sind die Grenzen zwischen Gut und Böse noch klar gezogen. Und wenn der Klassenfeind endlich besiegt ist, wird alles wieder gut.
Im ORF dürfen in die Jahre gekommen 68er auf unsere Kosten jeden Tag ein bisserl Revolution spielen und ranzige linke Parolen absondern. In einer (neo)liberalen Gesellschaftsordnung wäre so etwas nicht möglich.