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Werner Grotte (ORF2 Do, 12.03.2015, 21:05)
Am Schauplatz

Ungewohnt unparteiisch präsentierte die 55-minütige Dokumentation zwei derzeit schwer umkämpfte Bereiche: das Drogenhilfe-Zentrum „Change“ in Wien-Alsergrund und den geplanten Windrad-Park Sigmundsherberg im Waldviertel. In beiden Bereichen machen starke Bürgerinitiativen den verantwortlichen Politikern das Leben schwer; in Sigmundsherberg kam die Protest-Bürgerliste bei den Gemeinderatswahlen Ende Jänner aus dem Stand auf 20 Prozent der Stimmen und katapultierte sich damit zu zweitstärksten politischen Kraft nach der regierenden ÖVP. In Wien könnte die SPÖ durch das gegen alle Widerstände resolut durchgeboxte Drogenprojekt im Oktober auch etliche Stimmen verlieren.

Der Beitrag zeigt sehr deutlich, wie verschwommen mittlerweile die sozialen, ideologischen und altersmäßigen Grenzen zwischen „Revoluzzern“ und Regierenden sind. In Sigmundsherberg etwa finden sich unter den Windrad-Gegnern eingefleischte Ökos, die wohl für Windkraft sind, aber nicht für sieben 220 Meter hohe Windräder im Wald nahe dem Ortszentrum; sieben Donautürme quasi vor der Haustür. Viele der Bürger, die aus ähnlichen Gründen dagegen sind, könnten die Eltern des jugendlichen ÖVP-Bürgermeisters sein. Und viele davon leben in braven, mittelständischen Einfamilienhäusern mit Stickdecken an der Wand.

Ganz ähnlich die Lage in Wien-Alsergrund, einem an sich gutbürgerlichen Pflaster, sieht man einmal von den gürtel-nahen Blocks ab. Auch hier zeigten sich unter den Gegnern des Spritzentausch-Lokals „Change“ nicht nur Konservative , sondern auch ganz unauffällige junge Eltern. Was man dem ORF-Gestalter-Team hoch anrechnen kann: Es kamen in den jeweiligen Szenerien nicht nur beide Seiten ausgiebig zu Wort und Bild, nein, man hatte es sogar geschafft, einige Drogenkranke zu befragen, die sich unerwartet einsichtig gegenüber den Ängsten der Anrainer zeigten; einer war sogar klar gegen das „Change“.

Die Qualität der Sendung zeigte sich schließlich am Ende, wo es sich der Seher wirklich aussuchen konnte, welche Seite ihm sympathischer ist. Kein tendenziöses Dazwischenreden oder Verschweigen gewisser Argumente, keine Überrepräsentanz gewisser politischer Freunde, keine Manipulation durch gut-böse Licht- und Aufnahmetechniken. Alles in allem ein informatives Abwägen verschiedener Ängste, Befürchtungen, Fakten, Meinungen und Ansichten, eingebettet in stimmungsvolle Diskussionen oder Aktionen. Ein Mehr an solcher Sendungskultur kann man sich im ORF nur wünschen.