Nach der Aussage von Kanzler Kern, dass sich die Obergrenze nur auf Asylberechtigte beziehe und deren Zahl derzeit bei 11.000 liege, fragt man sich: Wo bleibt der ORF-„Faktencheck“? In der Vergangenheit wurde dieser bei vergleichsweise Lappalien gemacht. Die Obergrenze bezieht sich nicht auf Asylberechtigte, die Zahl von 11.000 stimmt nicht.
Armin Wolf meinte, es habe „so geklungen als würde Kern damit anerkannte Flüchtlinge meinen und nicht Asylwerber, wie es die ÖVP versteht“. Es hat nicht nur so geklungen, denn Kern hat dies tatsächlich so gesagt. Es kann auch nicht die Rede von zwei unterschiedlichen Auffassungen sein, da dies am Asylgipfel vereinbart und schriftlich festgehalten wurde. Die ÖVP wird ob ihrer Kritik als Zündler der koalitionären Eintracht dargestellt.
Im Beitrag hieß es zur Vereinbarung vom Asylgipfel: „Da steht im Text: '2016 werden max. 37.500 Flüchtlinge zum Asylverfahren zugelassen'“. Der anderslautende Inhalt der Vereinbarung wurde gezeigt („zum Asylverfahren zuzulassen: 37.500 im Jahr 2016“). Der ORF sollte dies richtig darstellen. Ein Flüchtling ist, bei wem nach Abschluss des Asylverfahrens ein Fluchtgrund nach der Genfer Flüchtlingskonvention festgestellt worden ist.
Der Beitrag enthielt neben der Feststellung, dass die Obergrenze bei ausschließlicher Berücksichtigung der Asylberechtigten gesprengt würde, dann noch die SP-Entschuldigung, dass Kerns Wortmeldung „lediglich ein Versprecher gewesen“ sei und Kerns Stellungnahme, dass er sich „nicht auf Zahleninterpretationen einlassen" wolle. Hinterfragt wurde dies seitens ORF nicht. Bei einem Versprecher korrigiert man sich nicht erst Tage später, oder – wie geschehen – gar nicht.
Wortgewandt wurde der Regierungsstreit als „erster Knatsch“ in der „Ära Kern“ bezeichnet. Kern ist seit 16 Tagen im Amt (17.5.-1.6.). Nach zwei Wochen Amtszeit von einer „Ära“ zu sprechen ist etwas gewagt, wenn nicht vermessen. Als wäre das ein „normaler“ Begriff, sprach der ORF-Redakteur gleich noch einmal vom „Knatsch“. Die Streit-Ursache liege nicht am (niedlichen) „Zahlensalat“, sondern im „tief sitzenden Misstrauen“ der ÖVP gegenüber der SPÖ-Linie in Sachen Obergrenze.
Kein Wort davon, dass Kern mit seinen falschen Angaben Verwirrung gestiftet hat, dass er falsche Zahlen bzgl. Obergrenze genannt hat und sich vielleicht nicht ausreichend informiert hat, oder dass, wie die „Krone“ schreibt, Kern „ausgerutscht“ ist, und ihm möglicherweise – auf Grund seiner politischen Unerfahrenheit – der Unterschied zwischen Asylberechtigten und Asylverfahren „nicht ganz klar gewesen“ ist.