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Stefan Beig (ORF2 Mo, 01.10.2018, 22:00)
ZIB 2

Der Christian-Kern-Hype ist vorbei. Diese Gedanken schießen einem beim Verfolgen der jetzigen ORF-Berichterstattung durch den Kopf. Spätestens seit dem gestrigen Interview mit Kerns Nachfolgerin, der designierten SPÖ-Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner, kann kein Zweifel mehr bestehen: Kerns Bilanz ist weitgehend negativ. Das sieht man auch beim ORF so und spricht es erstmals offen aus.  

Irritierend ist diese Ehrlichkeit aber irgendwie schon. Man denke nur an die Berichterstattung zurück, die wir noch bis Mitte September erlebt haben. Bei manchen Berichten und besonders höflich geführten Interviews konnte man fast glauben, der glücklose SPÖ-Chef seit noch immer Bundeskanzler. Doch ist er erst mal weg, fallen die letzten Masken, wie einige entlarvende Zitate im Zeit-im-Bild-Interview zeigen. 

Warum man wieder einen Quereinsteiger an die SPÖ-Spitze geholt hat, will Armin Wolf wissen und spricht den bemerkenswerten Satz aus: „Jetzt ist ja Christian Kern auch als Quereinsteiger SPÖ-Chef geworden und ist nach einem kurzen Höhenflug – man muss es so sagen – fulminant gescheitert.“ Wow! Solche Worte hörte man bisher nicht, zumindest nicht am Küniglberg. Gedacht haben sich das zwar mittlerweile schon viele, aber bis es in der "Zeit im Bild" offen ausgesprochen wird, muss man offenbar erst warten, bis Kern abtritt. 

Auch Rendi-Wagners Antwort ist bemerkenswert – wenn auch in ihrem Fall nicht besonders überraschend: Sie bemüht sich erst gar nicht der Darstellung von Kern als gescheitertem SPÖ-Chef zu widersprechen: „Man kann Christian Kern ja nicht eins zu eins mit mir vergleichen“, meint sie. „Ich bin Ärztin, ich habe immer den Dialog gesucht, habe immer die Menschen vor mir gehabt und das werde ich ganz klar auch in meiner Parteiführung so anlegen. ... Christian Kern ist Manager gewesen, er war kein Arzt.“ 

Soll wohl heißen: Schlägereien zwischen einem Mitarbeiter der SPÖ-Zentrale und einem Mitarbeiter der künftigen SPÖ-Chefin wie einst im Juni 2017 wird es nun nicht mehr geben.

Das Problem der neuen Parteivorsitzenden ist klar: Um sich in ihrer neuen Rolle zu behaupten, muss sie sich von ihrem einstigen Mentor, der sie in die Politik geholt hat, distanzieren. Wer jetzt die SPÖ anführt, hat mit dem einstigen Shootingstar am besten möglichst gar nichts zu tun. So ändert sich alles um 180 Grad. 

In diesem Tenor geht es weiter. „Was wird die SPÖ-Chefin Rendi-Wagner von dem bisherigen SPÖ-Chef Kern unterscheiden“, fragt Wolf. „Es ist mein Stil, die Dinge anzugehen. Ich bin dialogorientiert, und jeder, der mich kennt in der Vergangenheit, weiß, dass ich immer die Augenhöhe und das Gespräch gesucht habe, und dass ich immer das Gemeinsame in den Vordergrund gestellt habe.“ Das würde Kern für sich wohl auch in Anspruch nehmen, aber es passt nicht wirklich zu ihm. Das wissen seine Genossen aber am besten.  

Auch mit dem Chaos rund um den Abgang ihres Vorgängers will Rendi-Wagner nichts zu tun haben. Sie sei „nur Passagierin“ gewesen und habe von Kerns Abtritt kaum früher als die Öffentlichkeit erfahren. 

Das Interview endet schließlich – ungewollt – erheiternd: 

Wolf: „Bleiben Sie bis zur nächsten Nationalratswahl Parteichefin?“
Rendi-Wagner: „Wenn ich meinen Beitrag so lange leisten kann, und der positiv ist für die Sozialdemokratie und für dieses Land, dann werde ich alles tun und werde das auch tun bis 2022.“
Wolf: „Das hat Christian Kern auch gesagt. Warum soll man Ihnen glauben?“
Rendi-Wagner: „Weil ich nicht Christian Kern bin.“ 

Klar: Wer jetzt noch glaubwürdig sein und keinen „Mumpitz“ reden will, der heißt am besten nicht Christian Kern. Der gescheiterte SPÖ-Chef hat am Ende auch innerhalb seiner Partei massiv an Glaubwürdigkeit eingebüßt. 

Irgendwann ist die Kern-Blase geplatzt. Aus Sicht vieler Beobachter geschah das schon vor mehr als einem Jahr. Beim ORF ist sie schluessendlich auch geplatzt – halt ein wenig später.

PS: Jene Schlägerei im Juni 2017 soll wegen des anhaltenden Streits über den Wahlkampf ausgebrochen sein, dessen Koordination ja nicht bei der Parteizentrale, sondern beim damaligen Kanzleramtsminister Thomas Drozda gelegen sein soll, der nun von Rendi-Wagner umgehend zum neuen SPÖ-Bundesgeschäftsführer ernannt worden ist. Was diese Personalentscheidung für die parteiinterne Stimmungslage bedeutet, mag jeder für sich selbst beurteilen. Aber das ist ein anderes Kapitel.