Da wird es noch internen Erklärungsbedarf im Roten Kanal geben, denn sowas darf bei den Genossen normalerweise nicht vorkommen. Im "Journal zu Gast" war heute Wiens SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig - also de facto der aktuell heiligste unter den roten Heiligen. Über dem Wiener Bürgermeister steht ja nichts mehr Roteres, seit der Kanzlersessel in der unseligen Wahl von 2017 verlustig gegangen ist.
Zwar wurde Ludwig die angemessene Sendezeit zuteil (flotte 16 Minuten), aber die Fragestellung...
Die Fragestellung von Interviewer Wolfgang Werth grenzte fast an Ketzerei und Blasphemie! Da waren doch tatsächlich kritische Fragen dabei - ja darf das überhaupt sein? Bei Interviews unter roten Genossen werden sonst nur Auflagen für ausufernde Lobhudelei und Selbstbeweihräucherung geliefert, während die kritischen Attacken blauen und türkisen Politikern vorbehalten sind.
Diesmal musste aber auch ein spürbar schockierter Ludwig ein paar kantig-griffige Fragestellungen über sich ergehen lassen. Man konnte es zwar nicht sehen, aber gefühlt ist der rote Wiener Häuptling dabei deutlich erblasst. Lag es etwa daran, dass Ludwig zu wenig links ist? Oder hatten Werth bzw. der Zensor nur einen schlechten Tag? Man weiß es nicht, man staunte nur.
Es ging gleich damit los, dass der Wiener Sozialstadtrat Hacker das neue Mindestsicherungsgesetz nicht anwenden will: "Ein SPÖ-Politiker will dann geltendes Recht nicht umsetzen - ist das auch Ihre Auffassung von Rechtsstaat und Gewaltentrennung?" Nach dem ersten hilflosen Geblubber von Ludwig in Richtung "nicht verfassungskonform" setzte Werth dann sogar noch nach: "In Wahrheit wäre es dann ein Bundesgesetz, das beschlossen ist, und das Sie, solange es der Verfassungsgerichtshof nicht aufgehoben hat, beachten müssen. Und jetzt sagt Ihr Stadtrat mach' ich nicht?"
Derartige Hartnäckigkeit ist ein Genosse wie Ludwig von seinen treuen Vasallen im Rotfunk definitiv nicht gewöhnt. Entsprechend hilflos ruderte er verbal herum: "Na ja, er hat gesagt in der vorliegenden Form und da wird sicher noch was geändert blablabla..." Und dann gab Werth immer noch keine Ruhe: "Aber entschuldigung, warum sagt ein Landespolitiker, ich werde ein Bundesgesetz nicht umsetzen? [...] Er hat das zu tun!" Ludwig war sicher fassungslos angesichts dieser durchaus objektiven und nicht gewohnt unterwürfigen Herangehensweise des ORF-Mannes.
Aber den Gipfel der Frechheit lieferte Werth dann ab, als er sich erdreistete, im Anschluss auch noch zu fragen: "Und beim Innenminister Kickl sagt die SPÖ, er soll zurücktreten, wenn er bloß darauf hinweist, dass Politiker das Recht erzeugen und auch ändern können. Misst die SPÖ da mit zweierlei Maß bei Hacker einerseits und Kickl andererseits?" Rums, der hat gesessen. Ein unter der Wucht dieser Schläge taumelnder Ludwig faselte dann irgendwas, von man müsse das in einen Gesamtkontext einordnen, der halt bei der Regierung feindselig gegen Wien und bei den Roten prinzipiell vernünftig sei und derlei Schmus. Eine wirkliche Antwort auf die Fragen blieb er natürlich schuldig.
Was sollte Ludwig auch Sinnvolles sagen? Schließlich misst die SPÖ ja wirklich ständig mit zweierlei Maß - locker-flockig bei sich selbst und mit erhobenem Zeigefinger bei den perfiden Rechten. Und das ganz besonders, wenn es um die böse FPÖ und den Polit-Krampus Kickl geht. Aber mit dieser Doppelmoral öffentlich konfrontiert zu werden und das auch noch im Rotfunk, das gibt es nicht oft. Und so schlingerte Ludwig mit schwerer Schlagseite durch das Interview, das er so wohl nicht erwartet hatte.
Und immer wieder bohrte Werth nach - es muss für den Wiener Bürgermeister wie ein Besuch beim Zahnarzt inklusive Wurzelbehandlung ohne Lokal-Anästhesie gewesen sein. Zum Glück ließ ihn der Interviewer am Ende doch mit seinen leeren Phrasen-Antworten halbwegs davonkommen und murkste Ludwig journalistisch nicht komplett ab. Das könnte Werth den orf-internen Scheiterhaufen eventuell ersparen.
Ganz ohne Rapport wird der erstaunlich kritische Mann aber vermutlich nicht davonkommen. Denn so ein bissiges Interview mit dem aktuell wohl wichtigsten SPÖ-Politiker, der noch dazu 2020 eine Schicksalswahl zu schlagen hat, gilt im Roten Kanal sicher immer noch als Apostasie, also als Abfall vom Glauben. Hoffentlich kommt Werth mit ein paar "Mao unser" und "Geheiligt seist du Che Guevara" sowie dem 30maligen Absingen der Internationale davon und muss nicht geteert und gefedert in den ORF-Kerker.